FLUC – Tanz die Utopie!

FLUC – Tanz die Utopie!
Urbaner Aktivismus als gelebtes Experiment in der Wiener Kunst-, Musik- und Klubszene
von Martin Wagner (Hg.), Ursula Maria Probst (Hg.), Peter Nachtnebel (Hg.)

Auszeichnungen: Ausgezeichnet als schönstes Buch Österreichs 2014 in der Kategorie Zeitgenössische Kunstbände
EAN: 9783854395249
Verlag: Falter Verlag
Format: Gebundene Ausgabe
Umfang: 344 Seiten
Erscheinungsdatum: 05.05.2014

Im Mai 2002 initiierte die Künstlergruppe [ dy’na:mo ] einen Kunst- und Klangraum am Wiener Praterstern, der 12 Jahre später zu einem der wichtigsten alternativen Kulturprojekte Mitteleuropas geworden ist. Der richtige Zeitpunkt, die vergangene Dekade Revue passieren zu lassen, Recycling-Architektur, Gentrifizierung, Club-Kultur zu reflektieren und ein Buch über urbane Entwicklungen in Wien zu veröffentlichen:
“Tanz die Utopie!” als reich bebilderter Band geht weit über eine geschichtliche Aufarbeitung des “Phänomens Fluc” hinaus und behandelt die Produktionszonen und Konfliktfelder künstlerischer Aktivitäten im urbanen Kontext zwischen Kunst im öffentlichen Raum, Politisierung der KünstlerInnenschaft, Club-/Musikkultur und Queer Club Culture, Türpolitik und Rassismus, Architektur, Urbanismus und Gentrifizierung.
Das Buch erzählt nicht nur die abwechslungsreiche und spannenden Geschichte des Fluc, sondern auch die Entwicklung der Wiener (Offspace-) Kulturszene der letzten 12 Jahr.

Rezension aus FALTER 19/2014
Wo die Utopie tanzt

Das Fluc am Praterstern ist eine Lokalinstitution. Nun gibt es ein Buch über urbane Entwicklungen in Wien rund ums Fluc

Wer heute eine Lokaltour durch den zweiten Bezirk machen will, hat eine Vielzahl an Anlaufstellen. Man kann im Katscheli beginnen, einer kleinen armenischen Bar in der Karmelitergasse, im Tachles am Karmeliterplatz überbackene Schwarzbrote essen und die Studierendengruppen am Nebentisch belauschen oder ins Café Bendl um die Ecke ausweichen. Im Shabu in der Rotensterngasse betrachtet man die Palmen auf der Fototapete bei Wein, Bier, Absinth oder fällt eine Straße weiter in die New Bar ein, eine Dependance des Futuregarden mit angeschlossener Galerie. Man besucht das neu übernommene Café Else in der Heinestraße und betrachtet den Kontrast zwischen den alteingesessenen Stammgästen und der neu zugewanderten Rhiz-Klientel, oder setzt sich ins Café Sperlhof in der Großen Sperlgasse mit einem der dort aufliegenden Bücher oder Brettspiele. Zum Rauchen geht man vor die Tür.
Am Donaukanal schauen Lokalmatadore von der geräumigen Terrasse unter Lichtgirlanden des Vereinslokals Central Garden aus Kindern beim Spielen zu oder sie setzen sich zwischen die bunten Wände des Café Dezentral am Ilgplatz zu einem Singer/Songwriter- oder Rockabillykonzert oder einer Kabarettshow. Im Lokativ in der Arnezhoferstraße gibt es entweder einen schnellen Schnaps oder man macht es sich für eine Partie Go oder Schach gemütlich.
Wie immer man auch den Abend begonnen hat: Wenn es dunkel wird, werden Leo­poldstadt-Flaneure jedenfalls zum Praterstern weiterziehen und an der Bar des Fluc oder in der Wanne, dem dazugehörigen Club, Stammgäste und Zufallsbesucher aus sämtlichen dieser genannten Lokale treffen. Man wird keiner Gesichts- oder Kleidungskontrolle ausgesetzt sein, man wird neben jungen Partykids und älteren, lederjackentragenden Industrial-Auskennern Getränke bestellen und experimentelle Noisebands, Dubstep-DJs oder heimische Pop-Aufsteiger erleben. Man kann eine Hardtekk-Party betreten und gleichzeitig einen queeren, politisch korrekten Raum. Der Gast wird die wechselnden künstlerischen Projekte, die die Wände der Fluc-Bar zieren, bestaunen, auf Bierkisten und eilig zusammengezimmertem Mobiliar sitzen, zwischen den drei Terrassen und dem Wintergarten wechseln, im Sommer vielleicht Würstel essen oder Selbstmitgebrachtes grillen.

Als die Künstlergruppe dy’na:mo im Mai 2002 den Kunst- und Klangraum Fluc gründete, war von einem solchen Angebot im Leo­poldstädter Nachtleben noch keine Rede. Die Mieten in der Gegend waren noch nicht so stark in die Höhe gegangen, der Augarten war nur für seine zwei Flaktürme und nicht für Slacklining, Spritzertrinken in der Bunkerei und Kunst im TBA21 bekannt. Auch der Karmelitermarkt war noch nicht zum zweiten Naschmarkt avanciert.
Während der Bezirk rund um den Praterstern, vor allem um die Praterstraße bis zum Donaukanal, gentrifiziert wurde, blieb das Fluc eine sympathische Konstante, der Vorreiter auf dem Platz, rund um den sich in den Jahren 2006 bis 2010 gemeinsam mit dem Planetarium und der Pratersauna ein Club-Dreigestirn formierte.
Das Planetarium ist mittlerweile Geschichte, die Pratersauna ein noch immer beliebter Nachtleben-Hotspot; heute auch vermehrt für die neuerdings nebenan beheimateten Studierenden der Wirtschaftsuni.
Das Fluc selbst hat, ganz gemäß seinem Namen, der Kurzform für „fluctuated rooms“, einige Transformationen durchgemacht. Eine ehemalige Mensa, die dem Lokal als erweiterter Aktionsraum diente, wurde nach nur elf Monaten geschlossen, rund um die Fußball-WM 2006 aber durch eine umgebaute Fußgängerpassage, die heutige Fluc-Wanne, ersetzt. Der rohe Betoncharakter dieses unterirdischen Raums wird durch die verglaste Front der oberen Bar mit ihren verwinkelten Terrassen konterkariert.
Der Begriff Underground meint schon lange nicht mehr im wahrsten Sinne des Wortes untergründig, mit seiner absoluten inhaltlichen Offenheit, der selbstverständlichen Verknüpfung verschiedener Kunstformen und Musikstile und Aktionen wie etwa der öffentlichen Plakatausstellung Display als „Kritik an desolaten Systemen und den Folgen neoliberaler Disaster“ steht das Fluc aber immer noch als Ort der Möglichkeiten und Überlegungen zu alternativen Systemen.

Katharina Seidler in FALTER 19/2014 vom 09.05.2014 (S. 45)